Mudhoney: Das ewige Schattenkind der Seattle-Szene? Vorreiter in Sachen Flanell-Hemden und beinahe väterliche Inspiration für spätere Superstars der Marke Nirvana. Und wie üblich teilen sie auch das Schicksal einer richtungsweisenden Band, die nie den Sprung aus dem Underground-Wasser geschafft hat und selbst in größten Hype-Zeiten nur bedingt von ihrer Vorreiter-Rolle profitierte.
Ob Mudhoney den großen Ruhm überhaupt wollten, ist zweifelhaft. Dazu sind die Urgesteine doch viel zu sehr in ihrem Punkrock-Lifestyle verwurzelt und wie Sänger Mark Arm selbst zugibt, viel zu unmotiviert. Zu recht. Die erste Band von Mark McLaughlin (später unter dem Pseudonym Mark Arm), Mr. Epp and The Calculations macht sich Anfang der Achtziger in Seattle schnell einen Namen als die schlechteste Band der Welt.
Das Prädikat scheint auch verdient, wenn man lieber Konzerte ankündigt, die nie über die Bühne gehen werden oder Songs bei den raren Live-Gigs das erste Mal probt. Damals stand Fun-Punk noch nicht im Zeichen surfender Sonnyboys à la Blink 182. 1983 steigt Steve Turner als zweiter Gitarrist bei Mr. Epp ein, der später auch zum Line-Up von Mudhoney gehören wird.
Nach dem längst überfälligen Split der Band entscheiden Turner und Arm eine neue Kombo zu gründen. Allerdings will Mark sich mehr auf den Gesang als auf die Klampfe konzentrieren und so rekrutiert man noch den Ducky Boys-Gitarrist Stone Gossard und Jeff Ament am Bass: Green River sind geboren. Zusammen mit den Melvins aus Washington werden sie Pioniere einer Sound-Mixtur, die die Punk-Attitüde und das schlechte Beherrschen der Instrumente mit dunklen Heavy Metal-Sounds vereint, und welche später unter dem Namen Grunge in die Musikgeschichte eingehen wird.
Nach zwei EPs, einem Vertrag mit dem legendären Sub Pop Label und einem Album verkrachen sie die Mitglieder auf Grund eines Streits ob Major-Deal oder nicht, und lösen die Band auf. Gossard und Ament gründen Mother Love Bone, während Arm und Turner sich nun ganz auf ihr Side-Projekt The Thrown Ups konzentrieren, das nahtlos an das Chaos von Mr. Epp anknüpft.
Nachdem Turner aber mehr und mehr Ambitionen hat endlich wieder in einer anständigen Band zu spielen, holt man sich noch Drummer Dan Peters und den alten Melvins-Bassisten Matt Lukin ins Boot und benennt sich nach einem 1965er Russ Meyer Film (den bis dato kein Bandmitglied gesehen hat) in Mudhoney um.
Am 1. Januar 1988 probt die Band zum ersten Mal. Zum Punk Metal-Sound der Melvins und Green River packte man noch eine dicke Scheibe 60s-Haudrauf-Garagen-Punk der Marke Stooges und begründetet mit dieser Mischung einen weiteren Meilenstein des nordamerikanischen Indie/Punk-Rock.
Bereits die erste 7″ enthält mit „Touch Me I’m Sick“ ein Stück, das heute noch vor „Smells Like Teen Spirit“ als die Hymne des Grunge angesehen wird. Natürlich erscheint diese Single und die erste und inzwischen ebenfalls legendäre EP „Superfuzz Bigmuff“ bei niemand anderem als dem Kult-Label Sub Pop. Schon bald entpuppen sich die New Yorker Sonic Youth als große Verehrer der Band und laden Mudhoney 1989 als Support auf ihre England-Tour ein.
Die englische Presse dreht wie gewohnt durch und als 1989 das selbstbetitelte Debüt-Album erscheint, sind Mudhoney schon längst mehr als das nächste heiße Ding. Trotz Mudhoneys Erfolg und ihren Rotationen auf College Radios und den Tanzflächen der Indie-Clubs, und obwohl man außerdem noch spätere Megaseller wie Soundgarden oder Nirvana unter Vertrag hat, steht Sub Pop immer noch an der Kippe zum finanziellen Ruin. Auch deshalb kommt Mudhoneys zweites Album „Every Good Boy Deserves Fudge“ erst 1991 auf den Markt.
Unbeirrt, unbeeinflusst und frei von auferlegten Zwängen.
Wie alle Bands aus Seattle unterschreiben auch Mark Arm und Co. in dieser Zeit einen Major-Deal mit Reprise/Warner Records. Allerdings geht die Band mit ihrem nächsten Album und Major-Debüt „Piece Of Cake“ soundmäßig keine Kompromisse ein. Man sieht sich selbst als Traditionalisten, nicht ohne Grund trägt die erste EP ihren Namen nach dem eigenen Lieblings-Gitarreneffekt: so viel Verzerrung wie möglich und durchtreten.
Doch während Nirvana, Soundgarden oder die neue Band von Ex-Green River-Mitstreiter Stone Gossard, Pearl Jam, sich an den Spitzen der Charts tummeln, haben Mudhoney nie mit Verkaufszahlen geprahlt. Zwischenzeitlich erweitern sie zwar ihren Bekanntheitsgrad durch die Teilnahme an Cameron Crowes Hollywood-Blockbuster „Singles“ (1992) über die Grunge-Szene in ihrer Heimatstadt, wo auch ihr berühmtester Song als „Touch Me I’m Dick“ verballhornt wird. Nach nur zwei weiteren Alben („My Brother The Cow“ und „Tomorrow Hit Today“) löst Reprise jedoch den Vertrag auf.
Kurz danach gibt auch Matt Lukin bekannt, dass er die Band, vom vielen Touren genervt, verlassen wird. Mudhoney gönnen sich erst mal eine Pause und als 2000 mit „March To Fuzz“ eine Best of/Raritäten-Compilation erscheint und 2001 mit „Here Comes Sickness“ auch noch alte BBC-Session aufgewärmt werden, scheint das endgültige Ende nicht mehr abwendbar.
Doch Mudhoney zeigen sich erneut als unkaputtbar und sind so schnell nicht totzukriegen. Mit dem australischen Bassisten Guy Maddison findet der erste Besetzungswechsel seit der Bandgründung statt. Man tourt wieder ausgiebig und spielt auch einige Shows unter dem Pseudonym Beneath The Valley Of The Underdog, mit dem man dem Publikum ausschließlich neue Songs vorstellt. Mit neuer Energie begeben sie sich auch wieder ins Studio. 2002 erscheint „Since We’ve Become Translucent“, 2006 „Under A Billion Suns“.
Das 2008er Album „The Lucky Ones“ schließt da nahtlos an: Soundexperimente sind nicht wirklich eine Option im Mudhoney-Kosmos. Warum auch? Eine loyale Fanbasis langsam alternder Grunge-Fans besteht.
Die klatscht auch fünf Jahre später wieder kräftig in die Hände, als die Band und ihr Label verkünden, dass man das gemeinsame 25-jährige Bestehen mit der Veröffentlichung eines neuen Albums feiern möchte. Die Sound-Torte zur Vierteljahrhundert-Sause heißt „Vanishing Point“ und erschien im April 2013. Abermals verlassen sich die Verantwortlichen dabei auf ihr Gespür für solide, kompromisslose Grunge Sounds: „Wir sind Mudhoney. Wir brauchen nicht viel. So lange uns keiner die Erinnerung an unsere Wurzeln nimmt, werden die Dinge ihren Lauf nehmen.“