Frittenbude, das ist so eine Band, die einem beim Kotzen die Haare hält. Vieles dreht sich hier um Entgrenzung, Ekstase und Untergang – dazu Beats und catchy Melodien, die sonst keiner so hinkriegt. Das sechste Album der Wahlberliner Electro-Punks verstoffwechselt aber auch einiges an Erschütter- und Neuerungen.
Auf einem Club-Festival in Nürnberg, nicht lange her. Die größte und schönste Location des mehrtägigen Events stellt die Katharinen-Ruine dar. Ein von hohen Trutzmauern umfasster Freilichtplatz, im Mittelalter stand dort ein Kloster. Hier spielen heute Frittenbude, das hat sich rumgesprochen, ungefähr alle guten Leute aus der kompletten Region scheinen vor Ort, an den Toren herrscht schnell Einlassstop. Glück für alle, die es hinein geschafft haben. Denn hier erfüllt sich etwas… Endlich mal wieder Rave mit Herz, endlich mal wieder Abfahrt mit Soul, endlich mal wieder Frittenbude.
Der ganze Corona-Abfuck hemmt immer noch den Konzertbetrieb, doch bei diesem Act ist das Ex-Kloster knallvoll, die Beats setzen ein. Das Publikum quittiert Klassiker und Lieblingslieder mit einer Stimmung, als wär’s das letzte Mal, als wär‘s das erste Mal, Wahnsinn. Dann ein energetisches Stück, das in folgenden Refrain mündet: „Doch ist gar nichts mehr zu retten, bleibt nur Schnaps und Zigaretten / feiern wir noch mal das Leben / alles schön mitten im Nebel / bricht die Welt auch auseinander, ist das Universum dankbar.“ Als diese Passage zum zweiten Mal reinrollt, singen bereits alle mit. Die Euphorie übersteigt noch mal alle bisherigen Reaktionen. Die Band auf der Bühne strahlt, handelt es sich doch um ein brandneues Stück, das noch niemand kennen kann. „Sandradome“ fungiert als Vorbote auf das sechste Album.
Und dieses Album ist jetzt endlich da. Die Vorfreude groß. Seitens Band, seitens der Leute. Doch bei all den freidrehenden Endorphinen ist „Apokalypse Wow“ aber vor allem das Produkt unruhiger Zeiten. Verdammt unruhiger Zeiten. Das Songschreiben beginnt im tiefsten Lockdown, streng genommen darf man nicht mal gemeinsam im Wagen sitzen und auch persönlich geht die Band eher über Scherben als auf weichem Gras. Der größte Einschnitt allerdings, Gitarrist Martin Steer steigt aus. An der Hälfte der neuen Songs ist er noch beteiligt, dann aber war es das. Man trennt sich im Guten, aber man trennt sich. Nach all den Jahren.
Johannes „Strizi“ Rögner und Jakob Häglsperger sind nun quasi gemeinsam Single, puh.
Wie soll es weitergehen, soll es überhaupt weitergehen? Tränen, die auf Sequenzer fallen, am Ende ist es die Musik, die den Vorhang aufreißt. Strizi und Jakob nutzen die Erschütterung, um ihr Herzensprojekt ganz frisch aufzusetzen. Jakob prügelt erstmal im Powerchord-Affekt punkige Skizzen ein, Strizi schreibt pointierter denn je, die Platte erscheint auf ihrem neugegründeten Label Nachti.
In einem wunderbaren Stück düsteren Electro-Pops, irgendwo zwischen Human League, Hurts und Bauhaus heißt es „Gib mir eine neue Welt / hab die alte Welt kaputt gemacht“. Ein Song, der mehrbödig zwischen Endzeitstimmung und Aufbruch flimmert und genau wie der Plattentitel ein Hier und Jetzt auf den Punkt bringt, das dieser Tage nicht nur auf die Band passt. Wenn man schon jegliche Komfortzone eingebüßt hat, sollte man eben wenigstens dafür sorgen, dass der Soundtrack zur Implosion richtig was her macht.
Doch man muss auf dieser vielarmigen Platte nur ein paar Stücke weitergehen, um auch wertzuschätzen, dass sich der verzweifelte bis giftige Frittenbude-Fatalismus nicht mehr selbst so ernst nehmen möchte – wie das vielleicht auf den letzten Alben der Fall war. Ein Highlight neben „Das Glas“ ist dahingehend sicher „Marx und Biggie“. Ein trockener Basslauf, ein hypnotisches Schlagzeug geben die Postpunk-Ästhetik vor, während der Text leichtgängig strizi-typische Kapriolen von Kommunismus zu Eastcoast-Rap schlägt, um im Refrain dann noch mal komplett zu überraschen…
„Das ganze alte Fleisch / doch bei uns beiden ist es nice / Ficken, Ficken über vierzig“
Frittenbude erobern sich mit „Apokalypse Wow“ eine Unbeschwertheit zurück. Auch mal lustig sein zu dürfen, auch mal total drüber. Auch mal albern sein statt staatstragend. Die Befreiung, die damit einhergehend, ist auch in düsteren Passagen der Platte spürbar. Mit diesem Album erlaubt sich die Band wieder viel mehr – und das tut ihr ausnehmend gut.
Auf einigen der Stücke kann man Max Zahl oder Hanno Stick an Instrumenten hören, Ponga Mi$$i spielt live die Gitarre, das kongeniale Pommes-Artwork stammt von Doro Ottermann. Frittenbude sind also nicht allein, aber dennoch erstmal zu zweit. Ob das so bleibt, man wird sehen. Mit „Apokalypse Wow“ haben sie in jedem Fall die Band wieder in die Gegenwart genagelt.
Willkommen zurück.
Entgrenzung, Ekstase und Untergang – dazu Beats und catchy Melodien, die sonst keiner so hinkriegt. Das sechste Album der Wahlberliner Electro-Punks verstoffwechselt einiges an Erschütter- und Neuerungen.
Das neue Album trägt den bestürzend zeitgemäßen Titel „Apokalypse Wow“. Endlich mal wieder Rave mit Herz, endlich mal wieder Abfahrt mit Soul, endlich mal wieder Frittenbude. Die Vorfreude ist groß. Doch bei all den freidrehenden Endorphinen ist das Album vor allem Produkt verdammt unruhiger Zeiten: Man trennt sich im Guten, aber man trennt sich von Langzeit-Gitarrist Martin. Wie soll es weitergehen, soll es überhaupt weitergehen? Tränen, die auf Sequenzer fallen, am Ende ist es die Musik, die den Vorhang aufreißt. Strizi und Jakob nutzen die Erschütterung, um ihr Herzensprojekt ganz frisch aufzusetzen. Jakob prügelt im Powerchord-Affekt punkige Skizzen ein, Strizi schreibt pointierter denn je, die Platte erscheint auf ihrem neugegründeten Label Nachti.
Frittenbude erobern sich so mit „Apokalypse Wow“ eine Unbeschwertheit zurück. Fun ist auf den Stücken mitunter nur ein paar Takte von Fatalismus entfernt. Warum zur Hölle sollte es in der Musik auch anders sein als im Real Life? Mit dieser Platte haben die beiden in jedem Fall ihre Band wieder in die Gegenwart genagelt.
Willkommen zurück.
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