In den acht Jahren, seit sich Amyl and The Sniffers in Melbournes brodelnder Live-Szene zusammengefunden haben, hat es die Band perfektioniert, Verspieltheit und rohe Wucht zu kombinieren. Mit den zwei bisher erschienenen, einhellig gefeierten Alben (dem selbstbetitelten Debüt von 2019 und ”Comfort To Me“ von 2021), haben Sängerin Amy Taylor, Gitarrist Declan Mehrtens, Bassist Gus Romer und Drummer Bryce Wilson ihren einzigartigen Stil etabliert. Währenddessen ist die Band mir ihrer ungeheuren Livepräsenz zu einer der spannendsten neuen Rockbands der Gegenwart überhaupt geworden.
Die Größe ihres Publikums ist dabei fast noch schneller gewachsen als die Live-Reputation der Band. Amyl and The Sniffers spielen weltweit immer größere, ausverkaufte Shows, die Tickets für die anstehenden Shows in Berlin, Hamburg und Köln waren schon Wochen vor Ankündigung des Albums restlos vergriffen. Der Schritt von den Underground-Clubs in Melbourne auf die Mainstages von Primavera, Glastonbury, Coachella, Green Man und Co. ist längst vollzogen. Zuletzt tourte die Band mit Green Day und den Foo Fighters durch Stadien in Europa und den USA. Wenn du eine Band brauchst, die die Bühne zerlegt, ist Amyl & The Sniffers zur Stelle!
Seit dem Release von ”Comfort To Me“ haben sich die Perspektiven für die Band also in jeder Hinsicht exponentiell erweitert. Und diese Erfahrung steht nun auch hinter dem dritten Album der Band. ”Cartoon Darkness“ (VÖ: 25.10.2024) hat die Band zusammen mit Nick Launay im 606 Studio der Foo Fighters in Los Angeles aufgenommen, am gleichen Pult, an dem schon Fleetwood Macs ”Rumours“ und Nirvanas ”Nevermind“ entstanden sind.
“Cartoon Darkness handelt von der Klimakrise, von KI, Politik und dem Gefühl der Leute, online mit ihrer Stimme etwas bewegen zu können, während wir alle nur das Datenbiest Big Tech füttern, den Gott unserer Zeit“, so Amy Taylor. „Es geht darum, wie unsere Generation mit Informationen vollgestopft wird, wie wir wirken wie Erwachsene und dabei doch für immer Kinder bleiben, abgeschirmt wie in einem Kokon und dabei all die Ablenkungen herunterwürgend, die uns nicht einmal Wohlbefinden oder Freude bereiten, sondern einfach nur Taubheit.
Es ist alles hart und herzzerreißend, aber auch schön. Ich möchte feiern. Ich mochte mein Handy weglegen und den Gesichtsausdruck von jemandem sehen und wie er sich beim Reden verändert. Ich möchte Leute beobachten, ich will Fantasie und Eskapismus, mich dem Hedonismus hingeben, mich lebendig fühlen, während sich Dystopie und Chaos um mich herum ausbreiten.
‘Cartoon Darkness’ stürzt sich Kopfüber ins Unbekannte, in diese heranziehende Ahnung einer Zukunft, ein kindliches Dunkel, das sich schrecklich anfühlt, aber noch gar nicht existiert. Ich möchte dem Teufel nicht auf halber Strecke begegnen und betrauern, was wir im Augenblick haben. Die Zukunft ist cartoon und das Rezept dagegen dark. Aber es ist Neuheit. Es ist nur ein Witz. Es ist Spaß.”
Amy Taylor, Amy and The Sniffers
”Cartoon Darkness“ ist ein überraschend abwechslungsreiches Album geworden und reicht von klassischem Punkrock über den strotzenden Glam der Single ”U Should Not Be Doing That“ bis zur ausgelassenen Balladenhaftigkeit von ”Big Dreams“.
”Bailing On Me“ ist dabei „der vielleicht schrägste Nicht-Amyl-Song, den wir je gemacht haben“, so Declan Mertens. Amy Taylor lacht: „Declan hat ihn über ein Mädchen geschrieben und sagte mir, ich solle sexy Lyrics dazu schreiben. Aber ich konnte einfach nicht. Es fühlte sich eher nach einem traurigen Heartbreak-Song an für mich, es hat mir definitiv keine horny Vibes gegeben.“
Fans der eher angriffslustigen Hits der Sniffers werden nicht enttäuscht sein, wenn sich die Band etwa im Opener ”Jerkin‘“ in ihrer Liebe für Schimpfwörter austobt. ”Pigs“ und ”Motorbike Song“ basieren auf harten und hektischen Riffs, wie man sie von der Band kennt und liebt und ”Doing In Me Head“ trägt Amy Taylors prägnanten Stil am Gesangsmikro in ganz neue Richtungen.
Auf ”Cartoon Darkness“ taucht Taylor immer wieder in Themen ein, die sich um das Selbst und die umgebende Welt drehen, den Kampf darum, sich nicht immer kleiner zu machen oder fühlen angesichts all dessen, was vor sich geht. Auch die Single ”Chewing Gum“ versucht die Selbstverortung und besingt die Entscheidung für ungezwungenen Spaß und Freiheit: „Im Chorus heißt es: I’m choosing to be young and I’m choosing to be dumb and I’m choosing bad decisions because life is too short to be right all the time”, erklärt Amy. „Das ist kein Nihilismus und auch kein Hedonismus. Es ist das Chaos zwischen diesen beiden.“
Schon der vorab veröffentlichte Song ”U Should Not Be Doing That“ verhandelt Befreiung und Selbstbestimmung. „Da wo wir herkommen, haben wir viel erreicht. Und Leute können sich damit ziemlich unwohl fühlen. Vor allem, weil ich eine Frau bin, ist es so, als dürfe ich nicht stolz auf mich sein, oder laut. Ich bin aber eine laute Person – war es und werde es immer bleiben. Ich musste mich zurücknehmen bei der Art, wie ich mich anzog oder verhielt, weil es Aufmerksamkeit erregte, vor allem negative. Der Song ist also ein ‘fuck that‘”, so Amy. „Ich will nicht so tun, als hätte ich nicht viel erreicht. Ich will nicht so tun, als sei ich nicht erfolgreich. Ich will nicht so tun, als wolle ich nicht noch mehr erreichen und so groß wie möglich träumen und sehen, wie weit wir das alles noch bringen können. Ich will es nämlich.“
Auf ”Tiny Bikini“ feiert Amy Taylor diese Autonomität. „Ich bin normalerweise die einzige Frau im Raum und ich liebe es, diese Sachen zu tragen, Bikinis, Make-up. Ich liebe es, mich als leicht-bekleidete Lady zu präsentieren. Der Song ist so zu verstehen: Ich möchte mich nicht maskulin kleiden, nur weil ich von Männern umgeben bin. Und ich will auch nicht, dass es so interpretiert wird, als mache ich es für diese Männer.“ Taylor betont aber, dass es nicht um einen strikt politischen Song handle. Er soll auch Spaß machen, die vielen Aspekte von Voyeurismus und Heuchelei in der Musikindustrie einfangen. Vielleicht ist es einfach ein starker Song über sexy Schwimmbekleidung.
Wut zieht sich durch das Album. Aber da ist auch viel Optimismus. „Die eine Seite der Band bedingt die andere“, so Mehrtens. „Es besteht da vielleicht diese falsche Vorstellung von härteren Genres, dass es viel Negativität gibt. Aber Amy hat eine so gesunde Beziehung zum Zorn, der therapeutisch sein kann, dass da zur selben Zeit auch immer viel Raum für Freude ist.“
”Cartoon Darkness“ hat seine Wurzeln sicher in einer dunklen, bizarren und dystopischen Welt, aber wie der Titel des Albums und die Köpfe dahinter, ist es auch der Albernheit und dem Spaß verpflichtet und dem Leben absolut zugewandt.
“Wenn jemand einen beschissenen Tag bei der Arbeit hatte, dann hoffe ich, dass das Album die kleine innere Flamme wieder entzündet, an der man sich aufrichten kann“, so Amy. „Die Welt ist ein so grausamer und gnadenloser Ort – so viele Leute liegen am Boden. Es sind verrückte Zeiten. Aber ich glaube nicht, dass sie ein hässlicher Ort ist, sondern ein guter. Sie ist ein Spielplatz und darum sehnen wir uns nach ihr. Ich möchte ganz einfach etwas machen, dass… mir fällt kein besseres Wort ein… gut ist. Ich will nicht draufschlagen und den Müll rauskehren. Ich will, dass es bedacht ist und Leuten wirklich etwas bedeuten kann, selbst wenn es nur Spaß ist.“
Amyl and The Sniffers haben viel Arbeit in ihr neues Album gesteckt und entsprechend viel bedeutet es ihnen. Trotzdem möchte Amy Taylor nicht jeden Song erklären. “Ich möchte nicht zwischen dem stehen, was Leute darin hören und fühlen. Ich weiß, die Welt hungert nach schwarz und weiß, ja und nein, nach 010101. Aber ich mag die Dinge abstrakt und kompliziert. So ist das Leben.“
Cartoon Darkness erscheint am 25.10.2024.