Maulgruppe

Wenn Jens Rachut singt, dann klingt das mitunter nach Freejazz mit Worten, nach freier Improvisation. Zum Beispiel, wenn er sich im Song „Hitsignale“ mit dem digitalen Overkill unserer Tage auseinandersetzt und die Rechner, Prozessoren und Bildschirme verflucht: „Ihr Motherboard küsst mein Gehirn/ ihr Fatherboard küsst mein Gehirn“, singt er darin; das Stück endet schließlich mit einem auf dem Boden zertrümmerten Computer und der Feststellung, dass Maschinen zum Küssen nicht gemacht sind: „Das kann kein Mensch erfunden haben/ Tatütata…“ Zu hören ist das Stück auf dem neuen Album seiner Band Maulgruppe („Hitsignale“), wo Rachuts Satzkaskaden und Wortschöpfungen zumeist auf frickliges, nervöses Synthesizerrumoren und Stakkato-Gitarren treffen. Die originären Songtexte sind dabei eine Qualität der Band – darüber hinaus spürt man jederzeit, dass die vier Musiker eine gemeinsame Idee von Musik und Kunst verbindet. Das verwundert wenig, denn sie alle sind vom Punk und Postpunk der Achtziger und Neunziger geprägt: Gitarrist Frank Otto und Drummer Markus Brengartner entstammen der Schwarzwald-Connection um die Bands Kurt, Ten Volt Shock und Yass, Bassist Wieland Krämer hat mit Rachut schon bei Dackelblut und Ratttengold gespielt, Rachut wiederum hat mit seinen Gruppen (Angeschissen, Blumen am Arsch der Hölle usw.) ohnehin eine ganze Generation deutschsprachiger Punkbands beeinflusst. Er lebt heute übrigens bei Buchholz in einer Waldhütte, spielt zudem noch in der Band Alte Sau und betreibt Öölmf-Forschung (was das ist, fragen Sie ihn besser selber).

Maulgruppe gründete sich 2016, zunächst als Trio, die Band debütierte 2019 mit dem Album „Tiere in Tschernobyl“. Der Nachfolger wurde nun letzten Oktober mit Moses Schneider und Ingo Krauss im Berliner Candybomber Studio aufgenommen. Die Band klingt in den 11 Songs genau so, wie man es sich vorstellen würde, wenn die südbadensische Noise-Schule auf den diesigen norddeutschen Punk trifft: Treibende Mollgitarren und abgehackte Gitarrenriffs wechseln sich ab, Synthesizer wabern und pluckern und fiepen, der Bass zieht stoisch seine Runden – und darüber krakeelt und kreischt und röhrt der Rachut. Die Lyrics behandeln dabei meist persönliche Geschichten. Über die merkwürdige neue Zeitrechnung seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie singt Rachut in „FLUG X1 Strich 22“: „Seit Monaten ein Maskenball/ keine Gigs und keine Reisen/ das ist die Strafe für Panschen und Täuschen/ Öl im Strandkorb/ Verschwörungen und Kriege/ und Datendiebe“. Ein Highlight ist die Sehnsuchtsnummer „Kakteen verblühen nie“, Françoise Cactus und Rachut im Duettgesang – der Song, der am meisten an Dackelblut erinnert. Die beiden singen über Cactus‘ Aufwachsen in der Provinz im Burgund der sechziger Jahre, über das Abhauen und den Aufbruch – ein Song wie ein Road Movie. Schief und charmant grölen die beiden den Refrain; da ist ein guter Vibe, da ist eine Wellenlänge, da ist Wärme in dem Song. Jetzt ist er zudem ein Nachruf geworden. Auch ein Fluch auf die Depression (“Schwarzer Hund“) und eine Hommage an die Außenseiter unter den Zahlen („Prim die Zahl“) finden sich auf dem Album. Mit „Alter Blender“ gelingt Rachut zudem ein großer Song über Schreibblockaden und die Angst, sich zu wiederholen („Warum fällt mir nichts Neues ein?/ die Ideen sie wirken alt/ ich bräuchte frische Zellen/ oder Orte, die inspirieren“). Dabei ist ja genau das das Erfreuliche an dieser Band: Zu keinem Zeitpunkt klingen ihre Stücke so, als würde sie Altes neu aufwärmen oder Gestriges wiederkäuen. Es ist Musik, die nach vorne geht und nach vorne schaut, einer Zeit entgegen, in der Maulgruppe hoffentlich auch wieder reisen und Gigs spielen können.

„Rachut erinnert an die Macht und die Schönheit der Renitenz. Ausprobiert und zu früher Blüte gebracht auf den Alben seiner 80er- und 90er-Jahre-Bands Angeschissen und Blumen am Arsch der Hölle. Fortgeführt nun mit dem zweiten Album der Maulgruppe, das ein Stück deutsche Postpunkgeschichte wachrüttelt und -schüttelt.“ Musikexpress

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