Dystopie trifft auf Surrealismus.
Clubbing im Twin Peaks Outer Rim.
Sieben Jahre nach ihrem Debütalbum „Ships Will Come“ aus dem Jahr 2014 kehren Warm Graves, ein Projekt um Leipziger Komponisten Jonas Wehner, mit ihrem zweiten Studioalbum „Ease“ zurück, das am 25. Februar 2022 auf Fuzz Club Records erscheint. Die beiden Alben trennen sieben Jahre, die den kreativen Schaffensprozess von Warm Graves beeinflusst haben. Ihr Klangkörper ist ein neuer und erinnert an die Selbsterneuerung des menschlichen Körpers, der alle sieben Jahre seine Zellen austauscht und dennoch ein und derselbe bleibt. „Für mich führt „Ease“ immer wieder auf die Idee der Transformation zurück“, reflektiert Wehner, „Hier im Sinne eines Wandels von Anstrengung zu Mühelosigkeit, von Chören zu Flüstergeräuschen, von Eile zu Geduld. Die sieben Jahre waren nicht leicht. Es gab viele Wendepunkte in meinem Leben und ich musste einiges dazulernen. All das steckt komprimiert in den neun Songs.“
Während das Debütalbum in atmosphärischen und traumhaften, von epischem Chorgesang geprägten Klangwelten verortet war, wartet „Ease“ mit härteren, elektronischen Stücken auf, die einen experimentellen Anspruch mit Einflüssen des Dark Ambient Drone, unterkühlten Coldwave und kosmischer Synthesizermusik vereinen. Die Übergänge auf dem neuen Album sind abrupter als zuvor und symbolisieren die schwierigen persönlichen und sozialen Umbrüche ihrer Entstehungszeit. Den Chor gibt es nicht mehr. An seine Stelle tritt Wehners Gesang, der eine zentralere, hypnotisch anmutende Rolle einnimmt. Die Klangbilder des ersten Albums weichen einer düsteren Atmosphäre, in der die Melodie von einer einzigen Stimme getragen wird. Eine Stimme, die keinen kollektiven Klang mehr hat, sondern Isolation und Intimität verkörpert. „I’ve lit my own fate“, singt Wehner auf „Sun Escape”. Ein Schicksal, das er auf diesem Album akribisch zerlegt.
So verhandelt der Song „Neon“ beispielsweise den „Umgang mit Erwartungen und Druck. Mit dem Gefühl, sich allmählich in ihnen aufzulösen“. Wehner findet aber auch Trost in den Zwängen des modernen Lebens: „Es geht auch um das Akzeptieren von Enttäuschung. Darum, dass Instabilität manchmal der einzige Weg ist, um neue Kraft zu schöpfen. Das Album schließt mit dem sehr beruhigenden Gedanken, dass wir im Kampf um dieses Gleichgewicht alle im selben Boot sitzen“. In „Cara“ kommt Wehner zu einem weiteren, erkenntnisreichen Schluss, mit dem sich zweifellos viele von uns identifizieren können: „Der persönlichste Song des Albums verhandelt etwas, das ich im Laufe meines Lebens immer wieder lernen musste: Toxische Menschen sind die ersten, die sich zu dir gesellen, wenn du glänzt und die dich runtermachen, wenn du am Boden liegst. Vor solchen Menschen muss man sich in Acht nehmen.“
Die Songs sind zugleich introspektiv und universell, aber auch an einem bestimmten Ort und in einer bestimmten Zeit verankert. In der Geschichte hinter dem Opener „Atoria“ spiegelt sich Wehners Gespür für die Gegenwart und seine Sensibilität für alles Flüchtige und Vergängliche. Jahrelang stand das Astoria Hotel in der Leipziger Innenstadt leer. Sein Schriftzug löste sich langsam auf und mit dem schwindenden ‚S‘ der Leuchtreklame wurde sein Name zu „A_toria“ – bis zur Renovierung der letzten Jahre. Wehner deutet dies als Symbol, dass selbst mit dem Wiederaufbau ein Verschwinden einhergehen, beziehungsweise das Verschwinden einen emotionalen Stellenwert erlangen kann. Ebenfalls in der affektiven Dimension von Orten verwurzelt ist das rauschartige Wiegenlied „Nightfall/Daylight“, das Wehner als Soundtrack für eine Person beschreibt, die „halb bewusstlos und schlafwandlerisch durch die Stadt taumelt. Sein Klang verkörpert dieses rastlose Gefühl, das man verspürt, wenn man einen Ort durchquert, den man zwar kennt, in dem man sich aber selbst nicht ganz verorten kann“.
„Ease“ beschränkt sich jedoch nicht nur auf das autobiografische Abarbeiten von Erlebtem. Auf ihm finden sich auch Songs wie „Sun Escape“, die in einer fiktiven Zukunft spielen, die inzwischen gar nicht mehr so weit hergeholt scheint. In vorausschauender Weise skizziert der Song „eine Welt, in der Menschen nicht mehr nach draußen dürfen und folgt einer Figur, die mit zunehmender Einschränkung ihres Denkens und Handels vollkommen wahnhaft wird“. „Je weniger man sich traut, desto mehr löst man sich auf“, schlussfolgert Wehner. Das Album gipfelt im Abschlusstrack „Sound Sleeper“, dessen Inspiration Wehner folgendermaßen beschreibt: „Ich stolperte über einen Artikel, in dem ein kleiner Junge zum ersten Mal über ein traumatisches Erlebnis in seiner Vergangenheit spricht und baute den Songtext von „Sound Sleeper“ auf den erschreckenden Bilder auf, die er beschreibt. Diese Bilder habe ich in einen Loop gepackt, der einen wie ein gespenstisches, nicht enden wollendes Mantra einnimmt und einfach nicht mehr loslassen will“.
Der schlicht anmutenden Titel ist angesichts der oft aufwühlenden und tiefgründigen Thematik des Albums natürlich irreführend. Wehner beweist in den neun Songs erneut sein musikalisches Gespür für Kontraste, für das Wechselspiel zwischen hellen und düsteren Klängen. Man könnte sich fragen, ob sich die Ohren ebenso schnell an die wechselnden Lichtverhältnisse gewöhnen wie die Augen. Mit Songtiteln wie „Black Wine“ und „Neon“‚ „Nightfall/Daylight“ und „Sun Escape“ findet sich der Kontrast zwischen Hell und Dunkel auch in den Titeln der Stücke wieder. Für Wehner hat sich in den letzten sieben Jahren vieles verändert und folglich sind auch die „Warm Graves“ auf „Ease“ nicht mehr dieselben wie zuvor. Indem sich Jonas Wehner jedoch in die Idee der Transformation, der Dekonstruktion und des Wiederaufbaus vertieft, kehrt er mit einem Album zurück, auf dem die Qualität seiner Musik und seines Songwritings neue Höhen erreicht.
Warm Graves wurde 2012 von Jonas Marc Anton Wehner ins Leben gerufen. In den Jahren nach dem Release ihres epischen Debüts „Ships Will Come“ aus dem Jahr 2014, tourten Warm Graves mit Bands wie Exploded View und Moon Duo und standen unter anderem mit The Soft Moon, Crystal Stits, Efterklang und Moonface auf einer Bühne. Neben ihren eigenen Headline-Tourneen durch Europa traten sie auch auf internationalen Festivals wie The Great Escape, ATP, Iceland Airwaves, Roskilde und Eindhoven Psych Lab auf. Nachdem Warm Graves in den vergangenen Jahren im Verborgenen an „Ease“ arbeiten, treten sie nun sowohl live als auch auf Tonträger wieder in Erscheinung – und zwar mit einer neuen Live-Band, einem neuen Album und der Neuauflage von „Ships Will Come“, das ebenfalls auf ihrem neuen Label Fuzz Club Records erscheint.
(Text von Ricardo Domeneck und Fuzz Club)
Arriving seven years on from their 2014 debut album ‘Ships Will Come’, Warm Graves (the moniker of Leipzig-based composer Jonas Wehner) will return with their second studio album, ‘Ease’, on February 25th 2022 via Fuzz Club Records. This seven-year gestation between the two albums brings with it a transformation in the creative process of Warm Graves, much like the human body exchanges its cells every seven years – our human bodies being both the same and wholly other. “For me, ‘Ease’ always comes back to the idea of transformation”, Wehner reflects: “In this case, from struggle to ease, choirs to whispers, rush to patience. Those 7 years didn’t pass lightly. Life took a lot of turns and I had a lot to learn. It’s all in there compressed in 9 tracks.”
Where the debut album dealt in ethereal, dream-like atmospherics guided by an operatic choir, ‘Ease’ offers a collection of harsher, more experimental electronic works touching on dark ambient drone, austere coldwave and synthesised kosmische musik. The transitions in this new album are more violent than before, expressing the difficult personal and social upheavals of its composition period. The choir is now absent and Wehner’s own voice assumes a more central, hypnotic stance. The soundscapes of the first album make way for something darker and a concentration of melody into a single voice – a voice no longer collective, but embodying both isolation and intimacy. "I've lit my own fate", Wehner sings in ‘Sun Escape’. A fate which he firmly places under the microscope across this album.
‘Neon’, for example, is a song about “dealing with expectations and pressures, and ultimately dissolving in them.” Finding some comfort in those aforementioned pressures of modern life, Wehner reasons that “It is also about the acceptance of disappointment, of being unstable as the only way to regain strength. It ends with a very peaceful thought of us all being equal in this struggle for balance.” Elsewhere, ‘Cara’ sees Wehner offer another valuable, no-doubt relatable lesson: “This turned out to be the most personal song on the album - a continuing lesson I taught myself over time about toxic people that will join you when you shine but will be the first to smell when you’re weak and put you down. Be aware of those.”
At once introspective and universal, these songs are, however, grounded in a certain place and time. The story behind the opening track, ‘Atoria’, shows Wehner’s sense of here and now, his sensitivity to everything that is transient and vanishes. For years the Astoria Hotel lay abandoned in downtown Leipzig, slowly losing its name as the ‘S’ fell and it became ‘A_toria’ until its renovation in recent years. Wehner evokes this as a symbol of how even reconstruction can mean disappearance, or how a disappearance can acquire emotional meaning. Also rooted in the affective nature of place, Wehner describes the “druggy lullaby” of ‘Nightfall/Daylight’ as the soundtrack to someone “half-fainted, sleepwalking through town – it’s the sound of that restless feeling you get passing through a place you know but can’t quite place yourself within.”
Not just an autobiographical exercise, ‘Ease’ also includes tracks like ‘Sun Escape’ which are set in a fictitious future (albeit one that’s certainly no longer all that far-fetched.) It presciently portrays “a world where people can't get outside anymore, following a character who is more and more restricted in action and thought until he becomes totally delusional.” “The less you dare the more you’ll fade” being the take-away here, he says. On the inspiration behind ‘Sound Sleeper’, the album’s climactic closing track, Wehner adds: “I stumbled upon an article where a young boy talks about a traumatic experience from his past for the first time and I built the lyrics for ‘Sound Sleeper’ around the terrifying images he described, looping them like a haunting mantra that just won't stop and won't let you get away.”
Far-reaching and often soul-bearing in subject matter, the title of the album, however, is evidently deceptive in its simplicity. In nine tracks, Wehner once again shows his keen eyes and ears for contrast, for the interplay between light and dark. One might ask: Do the ears accustom themselves to the change of light with the same Ease as the eyes? This chiaroscuro is engraved in several track-titles too – from ‘Black Wine’ to ‘Neon’, from ‘Nightfall/Daylight’ to ‘Sun Escape’. A lot has changed for Wehner in the last seven years and, as a result, the Warm Graves we see before us with ‘Ease’ is a vastly different project to what came before. However, by digging deep into this idea of transformation, of deconstruction and reconstruction, Jonas Wehner has returned with an album that pushes his music and songwriting to newfound heights in the process.
Warm Graves was brought to life by Jonas Marc Anton Wehner in 2012. In the years following the release of their epic 2014 debut ‘Ships Will Come’, Warm Graves soon found themselves touring with the likes of Exploded View and Moon Duo and sharing stages with The Soft Moon, Crystal Stilts, Efterklang and Moonface, among many others. As well as headline tours around Europe of their own, they’ve also appeared at such international festivals as The Great Escape, ATP, Iceland Airwaves, Roskilde and Eindhoven Psych Lab. Having spent the last few years quietly working on ‘Ease’ in the shadows, Warm Graves is now emerging once again as both a live and recording force – and doing so with a new live band, new album and reissue of ‘Ships Will Come’ (also released via their new label Fuzz Club Records) in tow.
(Written by Ricardo Domeneck and Fuzz Club)