2 0 1 9
erschien das Solodebut Fabian Altstötters, »Love Is«, das er nach einer EP und zwei Alben seiner Band Sizarr (2012 und 2015) nach dem Ende der Band unter dem Künstlernamen Jungstötter veröffentlichte: Samtene, ruhige Stücke, dicht am Zusammenspiel einer Band virtuoser, am Jazz geschulter Musikschaffender, getragen von einer Stimme irgendwo zwischen Mark Hollis und Scott Walker. Der Sound: reduziert, einfach, elegisch. Jetzt, vier Jahre später, setzt sich diese Vision fort und findet dabei zu weitaus eigensinnigeren Formen, erschließt sich neue, leuchtende Horizonte. »One Star«: Zehn Stücke zwischen schmachtendem Liebeslied und unbehaglicher Betrachtung der Welt. Wir hören ein Gebirge von einem Album, im Spannungsverhältnis des Inneren Fabian Altstötters und des Außen, welches er erfährt, erklimmen Gipfel, stürzen in Schluchten, gehen verloren, werden gefunden. Dabei ist der Blick unentwegt zum Himmel gerichtet.
A n de r s
als bei Jungstötters Debut findet sich auf »One Star« eine nun vielmehr referenzlose Musik, die Mut zu sich selbst gefunden hat und neben der Ruhe des Vorgängers, die immer noch da ist und Erdung liefert, auch Ausflüge in instrumentale Extreme unternimmt. Die zehn Songs sind bisweilen vertrackt, verdichtet, zeugen von einer neuen Komplexität. Sie bewegen sich damit viel näher am Songwriter Fabian Altstötter, rücken ihn als Komponisten ins Zentrum, als Strippenzieher, Spieler, Architekten, Fallensteller. Um die Vergangenheit wissend und dabei auffallend zukunftsgewandt zeigt sich so eine einzigartige Musik, die uns Hörer in kontrastreiche Welten führt. Die avantgardistischen Elemente dieser dichten und intensiven Kompositionen stammen dabei vielleicht nicht zuletzt aus den Einflüssen des kleinen unguarded-Labels, das von Altstötters Umfeld betrieben wird und in den letzten Jahren zu einem Knotenpunkt junger, eigensinniger Musikschaffender geworden ist, die dort ihre hyper-vertrackten Musikvisionen veröffentlichen. Doch es sind bloße Ausflüge in diese sonischen Sphären, experimentelle Tupfer, die immer wieder zurückführen auf eine selbstbewusstes, reifes Songwriting. So hören wir eine romantische Popmusik, melancholisch, tastend, feinsinnig entwickelt, zugleich sicher und fragil und darin voller Strahlkraft. Eine Musik, die aus Tradition schöpft und sich im selben Moment auf Augenhöhe der Innovationen einer jungen, musikalischen Modernität bewegt. In der Verbindung dieser Klangwelten entstehtein neuer Stern am Firmament: »One Star«!
W o r in
mag diese Veränderung begründet liegen? Fabian Altstötter, geboren 1991 in der Pfalz, brach nach Veröffentlichung seines Solodebuts 2019 bald die Zelte in Berlin ab, ging nach Wien, war während der Pandemie überwiegend dort, in einem neuen Zuhause, in dem er bis heute mit seiner Partnerin Anja Plaschg (alias Soap&Skin) zusammenlebt, die ihm auch musisch und künstlerisch neue Impulse gab. Altstötter fand Struktur im Familienalltag, isolierte sich in sein Songwriting, ließ es geduldig wachsen, nutzte die Pause, öffnete einen Hallraum, um darin etwas Neues zu kreieren, ohne seine Künstlerbiografie zu übergehen. Nach einer persönlichen Krise im Sommer 2021, einem Meltdown, wie er selbst sagt, rappelte er sich wieder auf, klaubte jene Trümmer, die eine heftige Depression auch von seiner Musik und seinem Selbstwertgefühl als Künstler zurückgelassen hatte, vom Boden. Auf wundersame Weise fügten sie sich zusammen. Fabian Altstötter erhob sich, und in der Ruhe nach dem Sturm ergab sich dieses Album, das oft wie ein dunkler Stern über ihm gestanden hatte, drohte ihn zu verschlucken. Nun fing es an zu leuchten.
G l ei c h
im Auftakt »Know« kündigt sich fulminant an, was einen auf »One Star« erwartet: Ein vergangenes und ein künftiges Wissen werden besungen, das transzendierende Individuum zwischen Himmel und Körper. So wird das Stück – auch sprachlich auf gänzlich unausgetretenen Pfaden – zum perfekten Auftakt, wobei es die Motive bereits versammelt, die sich über die zehnteilige Songspanne zu berühren wissen (werden). Besonders fällt hier die Produktion Altstötters auf, seine Affinität zu etwa Arve Henriksen. Doch dessen Stille wird allenfalls hochachtungsvoll anzitiert. Dann knallt es, fährt zum besungenen Himmel auf, wird dicht und immer dichter und explodiert. Und sowieso, die Produktion: »Nothing Is Holy« etwa, dunkel und opak, voller Metallschleifen und subbigem Kabinendruck, verfremdet auch die sonst weitestgehend klare Stimme, inszeniert Jungstötter als gefallenen Engel. Streicher kommen, schieben schwarze Brocken zur Seite, lassen Licht herein. Doch letztlich gewinnt die Dunkelheit.
D i e
hier wie dort beschriebene Bewegung, zwischen Erdboden und Himmelsreich, zieht sich durch die gesamte Stimmung des Albums: Am Boden liegend, mit den Händen die Oberfläche abtastend, betrachtet Jungstötter den Himmel, der sich stetig verändert, grau wird, finster, dann leuchtet, wolkenlos. Gewitter, Wetterleuchten, Farben, Gesteinsbrocken, Trübung, Aufklärung. Verdunkelung. Weite. »OneStar« ist ein Album zwischen Abstraktion und präziser Beschreibung, das in seiner Intensität das Vergehen von Zeit spürbar macht, ein Bewusstsein erlaubt, aus dem heraus man den Lauf der Dinge betrachten lernt. Die Musik wird zur Konstante, zum leuchtenden Stern am Himmel, der Orientierung spendet in einer sterbenden Welt. So geht es weiter, dicht, vertrackt, direkt. Es ist kaum zu glauben, welche Wegstrecken innerhalb der Songs zurückgelegt werden und »OneStar« zu einem komplexen fucking Grower machen.
D a s
große Finale greift den Stern dann auf, der den Fixpunkt ausmacht. »One Star«, Titeltrack dieses großen Albums, zeigt, wie Jungstötters Lyrik einen neuen Horizont erschlossen hat und gibt dem Dichter eine letzte Kammer – zumindest auf diesem Album. Zwischen Todessehnsucht und melancholischer, sprudelnder Verliebtheit zieht mit Gospelglanz der Himmel vorbei, durchwandern wir darunterein letztes Mal die innere Landschaft, die dieses Album erschaffen hat. Und am Ende ist es die unbändige Sehnsucht, dass etwas passieren möge – Anfang oder Ende, nur dass etwas passieren möge: »Oh give me a star / Give me / Oh give me a star / Why don’t you let a star fall down onto me / I’m standing here with my open arms ready to catch it / Ready for an embrace / Why don’t you give me that star«.
N u n, hier ist er: One Star!
– Hendrik Otremba
2 0 1 9
Fabian Altstötter released his solo debut »Love Is« under the moniker ‚Jungstötter’ : velvety, calm pieces, bound to the synergy of his band of versed musicians orbiting jazz, carried by a voice somewhere between Mark Hollis and Scott Walker. The sound: reduced, simple, elegiacal. Now, four years later, this vision continues and finds far more idiosyncratic forms, opening up new, bright horizons. »One Star«: ten pieces between a yearning love song and an uneasy contemplation of the world. We hear a mountain range of an album. Climb peaks in the tense relationship between Fabian Altstötter's inner life and the outside he experiences. Fall into gorges, get lost, are found. With the gaze constantly directed to the sky.
I n
contrast to Jungstötter's debut, on »One Star« we find music that doesn’t lead us to it’s references. It has found courage in itself and, in addition to the calm of the predecessor, which is still there providing grounding, also undertakes excursions into instrumental extremes.
The ten songs are at times intricate, condensed, testament to a new complexity. They move much closer to the songwriter Fabian Altstötter, focus on him as a composer, an architect, a trapper, pulling on strings, playing. Aware of the past and at the same time strikingly future-oriented, a unique music is revealed that leads the listener into worlds rich in contrast. The avant-garde elements of these intense compositions come not least from the influence of the small label ‚unguarded‘, which is run by Altstötter's closest friends and has become a hub for young, headstrong musicians, publishing their hyper-intricate music visions. They are mere excursions into these sonic spheres though, experimental dabs that always lead back to self-confident, mature songwriting. We hear romantic pop music: melancholy, tentative, sensitively developed, secure and fragile at the same time and, in that, full of radiance. A music that draws on tradition and at the same time moves on an equal footing with the innovations of a young, musical modernity. The combination of these sound worlds creates a new star on the firmament: »One Star«!
W h a t
might be the reason for this change? Fabian Altstötter, born in 1991 in Palatinate, Germany, soon left his former home, Berlin after the release of his solo debut in 2019. He went to Vienna and stayed during the pandemic. A new city, where he still lives today with his partner Anja Plaschg (aka Soap&Skin), giving him new musical and artistic impulses. Altstötter found structure in everyday family life, isolated himself in his songwriting, let it grow patiently, used the break, opened up an echo chamber to create something new without brushing over his artist biography.
After a personal crisis in the summer of 2021, a meltdown, as he puts it, he picked himself up again and gathering the debris, that a severe depression had left of his music and self-esteem as an artist. In a wondrous way he pieces them together. Fabian Altstötter got up, and in the calm after the storm this album emerged, which had often loomed over him like a dark star threatening to swallow him. Suddenly it started to glow.
R i g h t
from the start »Know« announces brilliantly what awaits you on »One Star«: past and future knowledge are sung about, the transcending individual between heaven and body. The piece thus becomes – wandering untrodden paths linguistically as well – the perfect prelude. Gathering the motifs that (will) know how to touch each other over the ten-part song span. Altstötter's production is particularly striking here, hinting at an affinity for someone like Arve Henriksen. His distinct silence however merely being cited delicately. Then there is a bang, driving up to the sung sky, getting dense and denser and explodes.
And again, the production: "Nothing Is Holy" for example, dark and opaque, full of metal loops and subbig cabin pressure, deforming the otherwise largely clear voice. Staging Jungstötter as a fallen angel. Strings come in, pushing black chunks aside, letting in light. But in the end, darkness wins.
A
movement between earth and heaven, described again and again, runs the entire mood of the album: lying on the ground, testing the surface with his hands, Jungstötter looks at the sky, which is constantly changing. Turning grey, dark, then shining, cloudless. Thunderstorms, sheet lightning, colors, rocks, cloudiness, enlightenment. blackout. width. »One Star« is an album between abstraction and precise description, which in its intensity makes the passing of time palpable, allowing an awareness from which one can observe the course of things. The music becomes a constant. A shining star that provides orientation in a dying world. So it goes on, dense, intricate, direct. It's hard to believe the distance covered within the songs, that makes »One Star« a complex fucking grower.
T h e
grand finale then picks up on the star making up the fixed point. "One Star", the title track of this grand album, shows how Jungstötter's lyrics have opened up a new horizon and give the poet one last chamber - on this album at least. Between longing for death and melancholic, bubbling infatuation, the sky passes by with gospel brilliance. Beneath it we wander through the inner landscape one last time, that this album has created.
In the end it is the irrepressible longing for something to happen - beginning or end, only for something to happen: »Oh give me a star / Give me / Oh give me a star / Why don't you let a star fall down onto me / I'm standing here with my open arms ready to catch it / Ready for an embrace / Why don't you give me that star".
N o w, here it is: One Star!
- Hendrik Otremba